Dr. Stefan Matysiak, Göttingen
 

Behinderte und chronisch Kranke in Studium/Promotion
 

Auf dieser Seite finden sich verschiedene Texte zum Thema Gleichstellung Behinderter und chronisch Kranker in Studium/Promotion.

 

Nicht jeder darf einfach alles tun

  
Ein Text zum Thema Probleme, Chancen und Bedingungen der Promotion von Behinderten aus dem GEW-Handbuch findet sich hier
Nur in einem gesunden Körper steckt ein gesunder Geist - das ist einer der vielen bürgerlichen Sinnsprüche. Er findet sich überall, auch an den Universitäten, etwa in Münsters Erstsemester-Zeitung, in den Erstsemesterinfos der Hochschule in Darmstadt oder der TU Berlin. Der Spruch wirbt für dort jeweils für den Uni-Sport und möchte Wege zeigen, Zitat „easy und effektiv“ durch das Studium zu gelangen.

Der Umkehrschluss des Spruches lautet: In einem nicht völlig gesunden Körper wohnt ein kranker Geist.

Dieses Gegensatzpaar krank-gesund verweist auf die Herkunft aus der Körperkulturbewegung aus der Frühphase der Industrialisierung.

Es ging um die Schaffung von „Vorbilder[n] an preußischer Tugend, preußischer Zucht und Ordnung in Schule, Fabrik und Armee im Sinne eines starken militärisch-hierarchischen Preussentums“,* es ging auch um die Schaffung von Leitbildern, die später auch die Mobilisierung für Kriege und insbesondere auch für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und ihre Kampagne gegen das sogenannte ‚unwerte Leben‘ prägte.

Diese Denke prägt uns noch heute.

Dass dieser Zusammenhang von Krankheit und eingeschränkter geistiger Leistungsfähigkeit konstruiert ist, schimmert allerdings nur selten durch. Heinrich Heine hatte wahrscheinlich Multiple Sklerose. Über Goethe gibt es ein ganzes Buch, das das Pathologische bei ihm untersucht, Mozart litt am Tourette-Syndrom. Außerdem, mit den Worten des Arztes und Schriftstellers Gottfried Benn:

„Es litten an ausgesprochener klinischer Schizophrenie: Newton, Lenz, Hölderlin, Strindberg, […] Viele körperliche Mißbildungen: Mozart hatte verkrüppelte […] Ohren, Toulouse-Lautrec von Kindheit an gelähmt, […] der [hatte] einen Wasserkopf, jener einen […] kriminellen Oberkiefer, der eine tierische fliehende Stirn, der idiotische Kinder […]: gibt es überhaupt ein gesundes Genie?“*



Obwohl Behinderte besonders darauf angewiesen sind, eine möglichst hohe Bildung zu erhalten, sind sie überdurchschnittlich häufig von höherer Bildung ausgeschlossen. Die Minderrepräsentanz von Behinderten und chronisch Kranken im Studium setzt sich in der Promotionsphase fort und verstärkt sich. Diese Minderrepräsentanz Behinderter kann nicht auf geistige Leistungseinschränkungen zurückgeführt werden, sondern ist ein Hinweis auf strukturelle Behinderungen, die die Betroffenen in ihrem Bildungsgang erfahren und die als Diskriminierung Behinderter angesehen werden können. mehr
Stefan Matysiak: Promotion und Behinderung. 
In: Claudia Koepernik, Johannes Moes, Sandra Tiefel (Hrsg.): GEW-Handbuch Promovieren mit Perspektive. 
Ein Ratgeber von und für DoktorandInnen. Bertelsmann Verlag Bielefeld, S. 103-110.


Für Behinderte bleibt Hochschulabschluss oft nur ein Wunschtraum
Unüberwindbare Barrieren im Universitätsalltag

Wiesbaden (epd). Schwerbehinderte in Deutschland haben eine deutlich geringere
Chance, akademische Würden zu erlangen als nicht Behinderte. Das geht aus einer
Auswertung des Statistischen Bundesamtes hervor. So haben lediglich vier Prozent aller Schwerbehinderten einen Hochschulabschluss, hingegen 7,1 Prozent der nicht Behinderten.

Noch deutlicher wird die Diskrepanz, wenn man die Altersklasse der 30- bis
45-Jährigen vergleicht. Menschen, die in diesem Alter schwerbehindert sind,
haben eine dreifach geringere Chance, eine Hochschule zu absolvieren wie nicht
Behinderte. Während nicht behinderte Menschen dieses Alters zu 10,1 Prozent
einen Abschluss aufweisen, sind es bei den Schwerbehinderten lediglich 3,6
Prozent.

Die Nachteile verschärfen sich mit der Höhe des akademischen Abschlusses.
Über einen Doktortitel verfügen in dieser Altersklasse nicht einmal ein halbes
Prozent der Schwerbehinderten, jedoch 1,7 Prozent der nicht Behinderten.

Diese Zahlen zeigten, wie schwierig es für Behinderte ist, gleiche Chancen zu
bekommen und aufzusteigen, sagte der Pressesprecher des Behinderten-Netzwerkes Artikel 3, Ottmar Miles-Paul, dem epd. Behinderte würden an den Hochschulen noch immer auf viele Barrieren stoßen. Schon an den Schulen erhielten sie eine geringere Förderung, so dass sie es in der Folge auch seltener bis an die Universitäten schafften. Miles-Paul forderte die Hochschulen auf, der Barrierefreiheit mehr Aufmerksamkeit zu widmen. 

Wie rückständig Deutschland in dieser Frage sei, zeigten die USA. Dort existierten bereits seit den 70er Jahren Programme, die Behinderten durch Unterstützungen von der Wohnungssuche bis zur Bibliotheksassistenz gleiche Lebenschancen ermöglichen sollen. [...]

Stefan Matysiak, epd sozial Nr. 19/13.05.2005


Überforderung durch neue Studiengänge: 
Druck auf behinderte Studenten wächst

Wer mit einem Handicap lebt, hat es schwerer. Wenn nun die Anforderungen derart steigen, dass selbst der Durchschnittsstudent leicht aus dem Tritt gerät, fallen Menschen mit besonderen Bedürfnissen schnell durchs Raster. 

Wenn Kirsten Lohhausen (Name geändert) an ihr Studium denkt, bekommt sie Schweißperlen auf der Stirn. «Ich ackere an den Grenzen meiner Kräfte», sagt die 23-Jährige. Wie Lohhausen geht es zwar vielen Hochschülern, doch die Soziologiestudentin hat es doppelt schwer. Sie leidet unter chronischen Migräneattacken, die sie regelmäßig tagelang außer Gefecht setzen. «Mit so einer Erkrankung ist es schwer, den Anforderungen der Universität zu genügen.»

Behinderte und chronisch Kranke kämpfen an den Hochschulen an mehreren Fronten. Sie müssen nicht nur das Studium meistern, sondern zusätzlich ihre behinderungsbedingten Alltagsprobleme. Medizinische Rehabilitation oder therapeutische Behandlungen gehen zu Lasten von Seminaren und Vorlesungen. Zudem sind längst nicht alle Universitäten durchweg behindertengerecht ausgestattet. Diese Mehrfachbelastungen führten oft dazu, dass Behinderte ihr Studium abbrechen, sagt Andy Bittner von der Berliner Initiative gebärdensprachiger StudentInnen.

Wieder deutliche Rückschritte in der Praxis

Zwar sei die akademische Ausbildung von den rechtlichen Grundlagen her immer behindertenfreundlicher geworden, berichtet Birgit Rothenberg vom Dortmunder Zentrum Behinderung und Studium. Doch in der Praxis seien jüngst wieder deutliche Rückschritte zu verzeichnen. Der Grund: An den Hochschulen wurden die alten Diplom- und Magisterstudiengänge durch die neuen Abschlüsse Bachelor und Master ersetzt. «Die Chancen für Behinderte sind seither wieder deutlich gesunken», urteilt Rothenberg. mehr



Argumente zur Durchsetzung eines Nachteilsausgleichs für Schwerbehinderte und chronisch Kranke in der Promotionsförderung

In der Studienförderung bekommen Mütter, schwerbehinderte und chronisch kranke Studierende einen Nachteilsausgleich in Form von längeren Förderungsdauern und zusätzlichen Sachleistungen. In der Promotionsförderung  bekommen diesen Nachteilsausgleich zwar Mütter mit Kindern unter 12 Jahren, nicht jedoch Schwerbehinderte und chronisch Kranke. Wir AutorInnen halten diese Förderpraxis der Hans-Böckler-Stiftung (und anderer Förderwerke), die auf Vorgaben des Bundeswissenschaftsministeriums zurück geht, für eine verfassungswidrige Diskriminierung. Diese Benachteiligung gilt es abzubauen. mehr

Stefan Matysiak/Holger Brecht/Karin Gille-Linne (Arbeitsgruppe der PK 2001 der Hans-Böckler-Stiftung), http://www.matymedia.de/Schwerbehindert.html


Gleichstellung Behinderter bei Promotionsstipendien
Verband sieht Bund in der Pflicht

Berlin (epd). Behinderte und chronisch Kranke sollen dieselben Chancen auf
einen Doktortitel bekommen wie gesunde Studenten. Das fordert die
Promovierenden-Initiative (pi), ein Zusammenschluss von Stipendiaten aus
verschiedenen Begabtenförderwerken, vom Bundesminis-terium für Bildung und
Forschung (BMBF).

Die Initiative verweist zur Begründung auf die niedrigen Promotionszahlen von
behinderten oder chronisch kranken Studenten. Die pi appelliert an die
Bundesregierung, die im übrigen gesellschaftlichen Leben gültigen
Nachteilsausgleiche auch auf die Begabtenförderung auszudehnen. Das Ministerium solle seine Richtlinien entsprechend überarbeiten, so die pi.

Das BMBF gewährt Förderwerken wie zum Beispiel der Hans-Böckler-Stiftung
oder der Friedrich-Ebert-Stiftung finanzielle Unterstützung. Die wiederum
fördern Promovierende, die sich wegen ihres wissenschaftlichen oder
gesellschaftspolitischen Engagements besonders qualifiziert haben.

Die pi erwartet zur Gleichstellung von Behinderten, dass Betroffene bei der
Aufnahme in die Begabtenförderung zukünftig wie im Öffentlichen Dienst bei
gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt werden. Als Nachteilsausgleich solle
zudem die Stipendienförderung verlängert und in der Summe erhöht werden.
Bislang sind in der Begabtenförderung des Bundes keine Nachteilsausgleiche für
Behinderte und chronisch Kranke verankert.

Stefan Matysiak, epd sozial Nr. 41/8.10.2004


Zusätzliche Nebenbestimmungen zur Förderung begabter Studierender sowie begabter Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler in der Fassung vom Juli 2009

IV.3 
Die spezifische Situation Behinderter ist entsprechend § 1 des Gesetzes zur
Gleichstellung behinderter Menschen mit dem Ziel der Vermeidung von
Benachteiligungen bei der Förderung besonders zu berücksichtigen.

II.3.1 
Die Dauer der Promotionsförderung wird von den Werken festgesetzt; sie beträgt in der Regel zwei Jahre (Regelförderungsdauer). Sie kann verlängert werden um ... 
c) höchstens ein Jahr, soweit der Stipendiat oder die Stipendiatin durch eine Behinderung oder Krankheit am Arbeitsfortgang gehindert ist.

Hier die aktuelle Fassung.



Bayerische Behindertenbeauftragte:
»Gebühren erschweren Zugang zur Universität«

München (epd). Die Einführung von Studiengebühren wird den Zugang
Behinderter zu den Universitäten weiter behindern, befürchtet die
Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Anita Knochner. Den
Betroffenen falle es wegen ihrer Behinderung deutlich schwerer, die Gebühren
aufzubringen.

Die Behindertenbeauftragte forderte deshalb ihre Landesregierung auf, den
Behinderten einen gleichberechtigten Zugang zum Studium zu garantieren. »Das
Ziel der Chancengleichheit Behinderter würde verfehlt, wenn von Studierenden
mit Behinderung Studiengebühren verlangt werden, ohne ihre besondere Situation zu berücksichtigen.« Behinderte hätten es schwerer, die Gebühren
aufzubringen, da sie bereits wegen ihrer Beeinträchtigungen erhöhte
Mehraufwendungen zu tragen hätten, so Knochner. Probleme bei der Aufnahme von Nebenjobs beschränkten zudem die Finanzierungsmöglichkeiten. Eine
Darlehensfinanzierung sei wegen der schlechteren Berufschancen für viele
ebenfalls nicht akzeptabel.

Nach einer EU-Erhebung sind in Deutschland knapp 20 Prozent der Menschen im studierfähigen Alter körperlich oder seelisch beeinträchtigt, der Anteil
betroffener Studierender beträgt nach einer Untersuchung des Studentenwerks
jedoch lediglich fünf Prozent. 

Stefan Matysiak, epd sozial Nr. 5/4.2.2005


Behinderte Studenten - Studentenwerk für Verzicht auf Gebühren

Berlin (epd). Das Deutsche Studentenwerk (DSW) hat die Bundesländer und
Universitäten aufgefordert, bei behinderten Studenten auf die Erhebung von
Studiengebühren zu verzichten. Behinderte hätten bereits wegen ihres
Handicaps erhöhte Lebenshaltungskosten, außerdem verlängere sich das
Studium, heißt es zur Begründung. Ein Ausweichen an Hochschulen ohne
Gebühren sei zudem wegen der unterschiedlichen Barrierefreiheit der Unis
nur eingeschränkt möglich, so das DSW.

Der Verzicht von Studiengebühren soll als Nachteilsausgleich die Teilhabe
Behinderter an der Hochschulbildung verbessern. Schwerbehinderte haben noch
immer eine deutlich geringere Chance, eine universitäre Ausbildung zu
erhalten. Nach einer EU-Erhebung sind in Deutschland knapp 20 Prozent der
jungen Menschen im studierfähigen Alter körperlich oder seelisch
beeinträchtigt, der Anteil behinderter Studierender beträgt nach einer
DSW-Untersuchung jedoch lediglich fünf Prozent. Nach Angaben des
Statistischen Bundesamtes haben lediglich vier Prozent aller
Schwerbehinderten einen Hochschulabschluss, hingegen 7,1 Prozent aller
nicht Behinderten.

Stefan Matysiak, epd sozial Nr. 33/18.8.2006


Anm.:
aok Leipzig (2003): Fünf Ringe für ein Halleluja? Eine kritische Betrachtung der bürgerlichen Sportideologie und ihrer Bühne: Den Olympischen Spiele, http://web.archive.org/web/20041024023415/nein-zu-olympia.de/html/texte/pdf/text1.pdf.

Zit. n. Jürgen Court (2002): "Mens sana in corpore sano" – Was leistet der Schulsport? Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung der Universität Erfurt (Langversion) "Herausforderungen der Bildungsgesellschaft", 9. 7. 2002, Erfurt, http://web.archive.org/web/20040312101456/www.uni-erfurt.de/archiv/2002/0037/court_l.pdf.
 
 









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